Das biomedizinische Alter messen: Methoden, Chancen und klinische Bedeutung

Ein Patient lässt sein biomedizinisches Alter mit dem ChronoVital-Index von Labor Dr. Bayer messen

Autor: Prof. Dr. med. MSc. Matthias Willmann

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Chronologisches versus biomedizinisches Alter

Das biomedizinische Alter gewinnt in der Präventiv­medizin zunehmend an Bedeutung. Unser Fach­artikel erläutert, wie moderne „Aging Clocks“ Gesund­heits­risiken präziser erfassen als das chrono­logische Lebens­alter. Der ChronoVital-Index von Labor Dr. Bayer bietet dabei ein praxis­taugliches Verfahren, um das bio­medi­zinische Alter einzuschätzen und latente Gesund­heits­risiken frühzeitig zu identifizieren.


Unser chronologisches Alter – also die Zeit seit unserer Geburt in Jahren – ist ein bekannter Risiko­faktor für viele Krank­heiten des Alters. Doch es spiegelt nur unzureichend wider, wie unser Körper tatsächlich altert. Menschen gleichen chrono­logischen Alters können biologisch gesehen sehr unter­schied­lich alt sein. Das biomedi­zinische (biologische) Alter beschreibt den „wahren“ Alterungs­zustand des Körpers und kann zwischen Individuen desselben Jahrgangs erheblich variieren. Es korreliert deutlich besser mit dem Gesund­heits­zustand und dem Risiko für alters­bedingte Erkrankungen als das kalen­darische Alter (1) (2).

Mit modernen Biomarkern lässt sich das biomedi­zinische Alter immer genauer messen. Im Gegen­satz zum starr fort­schreitenden chrono­logischen Alter kann das biomedi­zinische Alter beeinflusst werden und ist veränderbar. Studien weisen darauf hin, dass sich ein erhöhtes biomedi­zinisches Alter durch gezielte Inter­ventionen verlangsamen oder sogar teilweise zurück­drehen lässt (3) (4). Das bio­me­dizinische Alter bietet somit einen attrak­tiven Mess­wert, um individuelle Gesund­heits­risiken frühzeitiger zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.

Emotionales Alter – so jung, wie man sich fühlt

Neben dem biomedizinischen Alter spielt auch das emotio­nale Alter eine Rolle. Darunter versteht man das Alter, das wir subjektiv fühlen – also wie jung oder alt wir uns einschätzen. Dieses emotionale oder psycho­logische Alter weist meist eine enge Verbindung zum Gesundheitszustand auf und korreliert daher mit dem biomedizinischen Alter. Beispielsweise fühlen sich gesunde Menschen häufig jünger, als sie es auf dem Papier sind, während Personen mit vielen Beschwerden sich oft älter fühlen. Tatsächlich fand eine Studie heraus, dass Personen, die sich älter fühlten als ihr chronologisches Alter, auch biomedizinisch älter waren. Ihr epigenetisches Alter (basierend auf DNA-Methylierung) war beschleunigt. Dieser Zusammenhang wurde teilweise auf einen schlechteren sub­jektiven Gesundheitszustand und erhöhte Entzündungswerte (z. B. CRP) zurückgeführt (5).

Die gute Nachricht: Das emotionale Alter ist ebenso wie das biomedizinische Alter veränderbar, wahr­schein­lich sogar noch stärker. Wenn sich der Gesund­heitszustand oder Lebens­stil verbessert, fühlen wir uns meist auch jünger. Somit spiegelt das emotio­nale Alter bis zu einem gewissen Grad wider, „wie es unserem Körper geht“, und kann als weiteres Maß heran­gezogen werden. Im ärztlichen Gespräch kann das emotio­nale Alter ein Hinweis sein. Fühlt sich jemand deutlich älter als er ist, lohnt sich ein Blick auf mögliche gesund­heitliche Probleme oder Risikofaktoren.

Grafik: Unterschiede zwischen chronologischem, biomedizinischem und emotionalem Alter

Abbildung 1: Unterschiede zwischen chronologischem, biomedizinischem und emotionalem Alter. Chronologisches Alter (Kalenderalter) ist die Lebens­zeit seit der Geburt und unveränderbar. Das biomedi­zinische Alter beschreibt das effektive „Funktionsalter“ des Körpers basierend auf moleku­laren Biomarkern. Es spiegelt das Risiko für Alters­krank­heiten genauer wider und kann durch Lebens­stil­faktoren beeinflusst werden. Das emotionale Alter meint das subjektiv empfundene Alter und steht oft im Einklang mit Gesund­heit und Wohl­befinden, sodass es sich mit dem Gesundheits­zustand und damit auch mit dem biomedi­zinischen Alter mitverändert.


Clock-Tests: Messverfahren für das biomedizinische Alter

Um das biomedizinische Alter objektiv zu bestimmen, wurden in den letzten Jahren sogenannte „Aging Clocks“ entwickelt. Diese Tests messen biologi­sche Verände­rungen, die mit dem Alter fortschreiten, um daraus ein biomedi­zinisches Alter zu berechnen. Es gibt verschiedene Metho­diken, insbesondere DNA-basierte Clock-Tests (epigenetische Clock-Tests) und protein­basierte Clock-Tests (Proteom-Clock-Tests). Beide Ansätze haben zuletzt große Fort­schritte gemacht und über­treffen das reine Lebens­alter in der Vorhersage von Gesund­heits­risiken (2). Im Folgenden werden die Metho­diken und wichtige Beispiele erläutert.

DNA-methylierungsbasierte Clock-Tests (epigenetische Clock-Tests)

Zu den ersten und bekanntesten Clock-Tests gehören die epigene­tischen Tests, die auf DNA-Methylierung basieren. Dabei wird das Methylie­rungs­muster der DNA – eine epigene­tische Modifi­kation an den Genen – an bestimmten Stellen im Genom gemessen. Steve Horvath’s epigene­tischer Test war 2013 die bahn­brechende erste Methode dieser Art. Aus Methylie­rungsdaten von 353 definierten Genorten lässt sich das biomedizi­nische Alter einer Person erstaun­lich präzise schätzen (6). Horvath zeigte, dass dieses DNA-Methylie­rungsalter in verschiedenen Geweben dem tatsächlichen Alter entspricht, aber auch Abweichungen aufdecken kann, z. B. ein „beschleunigtes“ Altern bei Krank­heiten. Später wurde klar, dass solche epigene­tischen Alterungs­maße auch mit der Lebens­erwartung und Krankheits­risiken verknüpft sind (2).

Auf Horvaths Arbeit aufbauend entstanden immer raffiniertere epigene­tische Test­verfahren. Ein wichtiger Vertreter der zweiten Generation ist GrimAge. Dieser epige­netische Test kombiniert Methylie­rungs­marker, die mit Risiko­faktoren (wie Rauchen) und der Menge an bestimmten Plasma­proteinen assoziiert sind, um ein Alter zu schätzen, das besonders gut die verblei­bende Lebens­zeit vorhersagt (7). Tatsächlich erwies sich GrimAge als starker Prädiktor für die Lebens­dauer und Gesund­heits­spanne. Ein höheres GrimAge-Alter relativ zum chrono­logischen Ist-Alter bedeutet ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko.

Auch andere epigenetische Clock-Tests wie PhenoAge wurden entwickelt, teils kalibriert auf alters­relevante Labor­werte, um neben dem Lebens­alter auch die „biologi­sche Reserve“ abzubilden (8).

Allgemein gilt: DNA-basierte Clock-Tests erlauben es, die kumu­lative Wirkung von Umwelt und Lebens­stil auf moleku­larer Ebene zu messen. So können z.B. Tabak­konsum, Stress oder Ernäh­rung Spuren im DNA-Methylierungs­muster hinterlassen, die das epigene­tische Alter beeinflussen. Epigenetische Clock-Tests erreichen eine hohe Genauig­keit bei der biomedizi­nischen Alters­schätzung (typischer­weise eine Fehler­schwankung von nur ca. 3 bis 5 Jahren) und liefern prognostische Informa­tionen über Krank­heits­risiken und Mortalität (2) (7).

Interessanterweise deuten frühe Studien sogar darauf hin, dass man epigene­tische Alterungs­prozesse bremsen kann. So konnte in einer kleinen Pilot­studie durch ein Medika­menten-Regime das epige­netische Alter der Teil­nehmer um durch­schnitt­lich 2,5 Jahre verjüngt werden (3). Ebenso zeigte eine randomi­sierte Studie (CALERIE-Trial), dass bereits mode­rate Kalorien­restriktion über 2 Jahre den biomedizinischen Alterungs­prozess geringfügig verlangsamen konnte. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass biologische Alterungs­raten beim Menschen inter­ventionell beeinflussbar sind (4).

Epigenetische Clock-Tests haben somit Pionier­arbeit geleistet. Sie bieten einen Einblick in epigenetische Verände­rungen des Körpers, die über Lebens­stil und Umwelt entstehen, und verknüpfen diese mit dem biomedizi­nischen Alter. Eine Limitation ist, dass DNA-Methylie­rung eher ein indirektes Maß darstellt – ein „Gedächtnis“ der Zellen für vergangene Expositionen. Deshalb richtet sich der Blick nun vermehrt auf Proteine als unmittelbar funktionelle Moleküle des Körpers.

Proteom-basierte Clock-Tests

Proteine sind die Arbeitspferde der Zelle – Veränderungen im Proteom (der Gesamt­heit aller Proteine) könnten das biomedi­zinische Alter direkt wider­spiegeln. Die Forschung der letzten Jahre bestätigt, dass sich im Blut charak­teristische Protein­muster des Alterns finden lassen. Proteine regulieren nahezu alle biologischen Prozesse. Es leuchtet daher ein, dass Verände­rungen im Protein­spiegel auf Alterungs­prozesse und alters­-bedingte Funktions­verluste hinweisen.

Während epigenetische Marker eine Art Frühindikator sein können, liefern Protein­level einen unmittel­bareren Einblick in den aktuellen Gesund­heits­zustand und die Funktions­fähigkeit von Organen. Tatsächlich ist der Verlust der Protein­homöostase („Proteostase“) ein zentrales Merkmal des Alterns (1). Verschiedene Forschungs­gruppen haben in kleineren Kohorten Proteine identifiziert, deren Konzen­tration im Plasma mit dem Alter ansteigt oder abfällt, und daraus proteomische Aging Clock-Modelle erstellt. Beispiele sind iAge – eine „inflammatorische Uhr“, die aus Entzündungs­markern ein Alter ableitet und mit Multimor­bidität und Gebrechlichkeit korreliert (9).

Bisher hatten Proteom-basierte Clock-Tests oft den Nachteil relativ kleiner Daten­mengen, auf welchen sie basierten. Dennoch zeigten sie schon das Potenzial, das biomedizi­nische Alter abzubilden. So konnte ein Proteom-basierter Clock-Test von Lehallier et al. in einer Studie Alterns­muster über die Lebens­spanne aufzeigen und verschiedene „Wellen“ von Protein­veränderungen in bestimmten Alters­abschnitten identifizieren (10). Auffällig ist, dass Proteom-basierter Clock-Test teilweise andere Aspekte des Alterns einfangen – zum Beispiel Immunalterung oder Organ-spezifische Alterungs­prozesse. Epigenetische Clock-Tests messen dies nicht direkt.

Sind Proteom-basierte Clock-Tests nun genauer oder besser als DNA-basierte? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, da direkte Vergleichs­studien fehlen. Epigenetische Clock-Tests erreichen eine hervorragende Alters­genauigkeit und haben sich als Prognose­marker etabliert. Proteom-basierte Clock-Tests erzielen inzwischen vergleichbare Vorher­sage­genauigkeiten für das chrono­logische Alter und könnten in mancher Hinsicht näher am effektiven Geschehen im Körper sein. Proteine sind die Effektor­moleküle, die biochemische Prozesse steuern und Organ­funktionen direkt vermitteln. Veränderungen im Protein­profil könnten daher unmittelbarer anzeigen, wenn z. B. entzündliche Prozesse, Gefäßschäden oder Stoff­wechsel­störungen vorliegen, die zu Krank­heiten führen.

Ein hoher Alters-Wert in einem Proteom-basierte Clock-Test könnte anzeigen, dass bereits funktionelle Veränderungen bestehen, während epigene­tische Clock-Tests eher die kumulative Vorgeschichte widerspiegeln. Experten argumen­tieren, dass beide Ansätze sich ergänzen. DNA-Methylierung spiegelt langfristige und regulato­rische Veränderungen wider, Proteine die akute physiolo­gische Lage (1). In der Praxis ist auch die Verfügbarkeit ein Thema. Proteom-basierte Clock-Test erfordern spezialisierte Messverfahren (z. B. Multiplex-Immunoassays oder Massen­spektrometrie), während epigenetische Tests DNA-Analysen erfordern. Beide sind derzeit vor allem in Spezial­laboren verfügbar.

Große Proteomics-Studie: ein neuer Clock-Test mit breiter Validierung

Ein Meilenstein für Proteom-basierte Clock-Tests wurde 2024 veröffentlicht. Argentieri et al. entwickelten einen Clock-Test im Blut auf Basis der UK Biobank und validierten diesen mit Proteom-Daten aus zwei weiteren Ländern (11). In dieser Nature-Medicine-Studie wurden bei über 45.000 Teilnehmern in Großbritannien die Spiegel von 2.897 Plasma­proteinen gemessen. Mittels statis­tischer Verfah­ren des Maschinellen Lernens identifizierten die Wissen­schaftler daraus 204 Proteine, die zusammen das chronolo­gische Alter sehr präzise vorhersagen konnten.

Anschließend wurde geprüft, was ein höheres oder niedri­geres proteomi­sches Alter für die Gesund­heit bedeutet. Hierfür definierten die Autoren den Begriff Proteomic Age Gap (PAG) – die Differenz zwischen vom Proteinprofil geschätztem biomedizini­schen Alter und dem tatsächlichen chronolo­gischen Alter. Ein positiver PAG bedeutet, dass jemand biomedi­zinisch älter ist als es seinem Lebens­alter entspricht (ein beschleunigtes Altern). Ein negatives PAG entspricht einem biomedizinisch jüngeren Alter als das chronologische Alter (ein verlangsamtes Altern).

Die Ergebnisse waren eindrucksvoll. Ein höheres PAG ging mit einer deutlich erhöhten Inzidenz von 18 verschiedenen chronischen Erkran­kungen einher, darunter Herz-Kreislauf-Leiden (z. B. ischämische Herzkrankheit), Diabetes, chronische Nieren- und Leber­erkrankungen, Lungen­erkrankungen (COPD), neuro­degenerative Erkrankungen (Demenz, Parkinson) und mehrere Krebsarten. Auch Multi­morbidität und das Sterblich­keitsrisiko stiegen an.

Personen mit einem überdurchschnittlich hohen PAG hatten beispiels­weise ein deutlich höheres Risiko, im Beobachtungs­zeitraum zu versterben, als Gleich­altrige mit niedrigem PAG. Zudem korrelierte das PAG mit etablierten Alters­indices. So waren ein hohes PAG verbunden mit kürzerer Telomer­länge, erhöhtem Gebrech­lichkeitsindex, höheren Blut­druckwerten und langsameren Reaktions­zeiten – alles Anzeichen eines vorangeschrittenen bio­medizinischen Alters. Die Blut-Proteine, auf welcher dieser Clock-Test vornehmlich basiert, stammen aus diversen biologischen Kategorien (Entzün­dungs­marker, Gerinnungs­faktoren, Hormone, Immun­proteine, Gerüst- und Matrixproteine etc.). Das unterstreicht, dass Altern ein multifaktorieller Prozess ist.

Besonders wichtig: Der Proteom-basierte Clock-Test wurde anschließend unabhängig validiert. In zwei externen Kohorten – knapp 4.000 Probanden aus China und rund 2.000 aus Finnland – zeigte das Modell eine nahezu ebenso hohe Genauig­keit bei der Alters­schätzung. Dies demonstriert die Generalisier­barkeit über geografische und genetische Hintergründe hinweg – ein großer Vertrauensbeweis in dem Clock-Test.

Ein Blick auf konkrete Zahlen verdeutlicht den Nutzen dieses Clock-Testes (Abbildung 2). Die Autoren verglichen Teilnehmer mit sehr niedrigem vs. sehr hohem PAG. Zum Beispiel hatte ein 65-Jähriger im obersten PAG-Dezil (biomedizinisch sehr viel älter als dem Lebens­alter entsprechend) während der 11–16 Jahren Nachbeobach­tung eine kumulative Wahrschein­lichkeit von rund 50 %, eine ischämische Herzerkrankung zu entwickeln oder daran zu versterben. Im Gegensatz dazu lag dieses Risiko im untersten PAG-Dezil (biologisch deutlich jünger als dem Lebensalter entsprechend) nur bei etwa 7.5 %. Ähnlich große Unter­schiede zeigten sich auch für andere Krankheiten. Auch wurde durch das PAG das Sterbe­risiko quantifiziert. Pro jedem zusätzlichen Jahr im PAG stieg das Risiko für die Gesamt­mortalität um ca. 11 % (adjustiert für andere Risikofaktoren). Diese Statistik wurde auch für bestimmte Erkran­kungen erstellt. Besonders deutlich wurde dies bei Morbus Alzheimer, dessen Erkrankungs­risiko pro zusätzlichem Jahr im PAG um ca. 16 % stieg.

Diagramm: Beispielhafter Einfluss des biomedizinischen Alters auf das Herzrisiko.

Abbildung 2: Beispielhafter Einfluss des biomedizinischen Alters auf das Herzrisiko. Dargestellt ist der Anteil von 65-jährigen Personen, die innerhalb von ca. 11–16 Jahren eine koronare Herzkrankheit (KHK) entwickelten, in Abhängigkeit vom Proteomic Age Gap (PAG). Grün: Personen, deren biomedizi­nisches Alter deutlich unter dem Lebens­alter liegt (PAG niedrig, „jünger als der Durchschnitt“); Rot: Personen mit biome­dizi­nischem Alter deutlich über dem Lebens­alter (PAG hoch, „vorgealtert“). Ein höheres biomedizi­nisches Alter geht mit einem massiv erhöhten KHK-Risiko einher.

Zusammengefasst lieferte diese groß angelegte Proteomics-Studie erstmals einen umfassenden Clock-Test, der in einer allgemeinen Population bestimmt und erfolgreich extern validiert wurde. Die Integration so vieler Teilnehmer und die externe Bestätigung verleihen den Ergebnissen besonderes Gewicht. Für die Praxis bedeutet das: Proteinbasierte Alterstests sind auf dem Vormarsch und könnten in Zukunft helfen, gefährdete Patienten früh zu identifizieren.

Der ChronoVital-Index (CVI) – ein praxisnaher Clock-Test von Labor Dr. Bayer

Auf Basis der genannten Studienerkenntnisse von Argentieri et al. hat Labor Dr. Bayer einen eigenen biomarker­basierten Clock-Test entwickelt, den ChronoVital-Index (CVI). Dabei machten wir uns zunutze, dass in der Proteom-Studie von Argentieri et al. auffiel, wie stark das PAG mit einigen gängigen Laborparametern korreliert – darunter verschie­dene Entzündungs- und Stoff­wechsel­parameter. Aus diesen Erkennt­nissen haben wir sechs solcher Routine-Laborwerte ausgewählt, die einen besonders hohen Zusammen­hang mit dem biomedizi­nischen Alter aufweisen, und diese in einem Algorith­mus kombiniert. Das Ergebnis ist der CVI, der – ähnlich einem verein­fachten Clock-Test – eine Schätzung des biomedizinischen Alters ermöglicht.

Die Parameter zur Bestimmung des CVI werden aus einer einfachen Blut­abnahme gewonnen. Im Unterschied zur herkömmlichen Befund­interpretation wie bei einer Vorsorge­untersuchung werden diese Werte jedoch gemeinsam ausgewertet, nicht isoliert. Der CVI gibt als Ergebnis aus, ob das geschätzte biomedizi­nische Alter eines Patienten dem Lebens­alter entspricht oder davon abweicht. Dies wird in einem Punktwert ausgedrückt (CVI-Score) und erlaubt eine Abschätzung des PAG. Ein geringer CVI-Score signalisiert ein möglicher­weise beschleunigtes Altern – der Körper wirkt älter als erwartet. Ein hoher CVI-Score hingegen deutet auf ein jüngeres biomedizinisches Profil hin.

Wichtig: Der Chrono-Vital-Index macht keine Diagnosen, gibt auch kein exaktes biomedi­zinisches Alter aus und bestimmt auch keine Sterbe­wahr­schein­lichkeit. Vielmehr dient er als Früh­warnsystem. Ein stark verminderter CVI-Score könnte z. B. anzeigen, dass stille Entzün­dungs­prozesse, Belastungen oder Risiko­faktoren vorliegen, selbst wenn alle Einzelwerte formal noch im Referenzbereich sind. Diese Information kann als Anstoß für weitere Unter­suchungen oder präven­tive Maßnahmen genutzt werden.

Vorsorge 2.0: Nutzen eines Clock-Tests in der Medizin

Was bringt es, das biomedizinische Alter zu kennen? In der präventiven Medizin kann ein solcher Clock-Test erhebliche Mehrwerte bieten. Bei einem herkömmlichen Gesundheits-Check werden Laborwerte meist einzeln betrachtet und mit starren Grenz­werten verglichen. Solange diese Schwellen nicht überschritten sind, gelten die Befunde als unauffällig. Doch viele Menschen befinden sich zwischen optimal und pathologisch – ihre Werte liegen noch im Normbereich, aber vielleicht am oberen oder unteren Ende. Hier setzt die komplexe Auswertung des biomedizi­nischen Alters an. Zusammen genommen könnten selbst normwertige Labor­parameter auf ein recht hohes biomedi­zinisches Alter und ein erhöhtes Gesamt­risiko für alters­assoziierte Erkran­kungen hindeuten – lange bevor klinische Schwellen­werte erreicht werden oder Organ­schäden sich manifestieren.

Mit anderen Worten: Ein Clock-Test kann versteckte Risiken sichtbar machen. Der Patient erhält dadurch die Chance, frühzeitig gegenzusteuern. Konkret können je nach Risiko­profil präventive Strategien empfohlen werden – Gewichts­reduktion, Ernährungs­umstellung, intensivere Bewegung, Stress­abbau, Rauchstopp oder gezielte Vorsorge­untersuchungen. Studien untermauern, dass solche Maßnahmen das biomedizinische Alter günstig beeinflussen können (3) (4). Zwar ist weitere Forschung notwendig, um langfristig zu beweisen, dass eine Senkung des biomedizi­nischen Alters tatsächlich zu weniger Erkrankungen führt. Doch die Evidenz­lage spricht dafür, dass wer biomedizinisch jünger ist, später krank wird – eine Chance für mehr gesunde Lebensjahre.

Fazit und Zusammenfassung

Clock-Tests für das biomedizinische Alter liefern Ärzten und Patienten einen zusammen­fassenden Indikator der Gesundheits­reserve. In einer Zeit, in der Prävention immer wichtiger wird, kann die Kenntnis des biomedizinischen Alters motivieren und lenken. Ein ungünstiger Wert ist kein Schicksal, sondern ein Aufruf, aktiv zu werden. Umgekehrt kann ein erfreulich niedriger Wert bestätigen, dass sich ein gesunder Lebens­wandel auszahlt. Somit ermöglichen Clock-Tests – ergänzend zur klassischen Diagnostik – eine personalisierte Vorsorgemedizin, bei der Alter als beeinfluss­barer Gesund­heits­parameter verstanden wird.

Den ChronoVital-Test finden Sie im Abschnitt Longevity auf unserem Auftragsschein Evidenzbasierte Laborprofile für die Praxis.
 

Literatur

1. Rutledge J, Oh H, Wyss-Coray T. Measuring biological age using omics data. Nat Rev Genet. 2022, Dec;23(12):715–727.

2. Horvath S, Raj K. DNA methylation-based biomarkers and the epigenetic clock theory of ageing. Nat Rev Genet. 2018, Jun;19(6):371–384.

3. Fahy GM, Brooke RT, Watson JP, Good Z, Vasanawala SS, Maecker H, Leipold MD, Lin DTS, Kobor MS, Horvath S. Reversal of epigenetic aging and immunosenescent trends in humans. Aging Cell. 2019, Dec;18(6):e13028.

4. Waziry R, Ryan CP, Corcoran DL, Huffman KM, Kobor MS, Kothari M, Graf GH, Kraus VB, Kraus WE, Lin DTS, Pieper CF, Ramaker ME, Bhapkar M, Das SK, Ferrucci L, Hastings WJ, Kebbe M, Parker DC, Racette SB, Shalev I, Schilling B, Belsky DW. Effect of long-term caloric restriction on DNA methylation measures of biological aging in healthy adults from the CALERIE trial. Nat Aging. 2023, Mar;3(3):248–257.

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8. Levine ME, Lu AT, Quach A, Chen BH, Assimes TL, Bandinelli S, Hou L, Baccarelli AA, Stewart JD, Li Y, Whitsel EA, Wilson JG, Reiner AP, Aviv A, Lohman K, Liu Y, Ferrucci L, Horvath S. An epigenetic biomarker of aging for lifespan and healthspan. Aging (Albany NY). 2018, Apr 18;10(4):57–591.

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10. Lehallier B, Shokhirev MN, Wyss-Coray T, Johnson AA. Data mining of human plasma proteins generates a multitude of highly predictive aging clocks that reflect different aspects of aging. Aging Cell. 2020, Nov;19(11):e13256.

11. Argentieri MA, Xiao S, Bennett D, Winchester L, Nevado-Holgado AJ, Ghose U, Albukhari A, Yao P, Mazidi M, Lv J, Millwood I, Fry H, Rodosthenous RS, Partanen J, Zheng Z, Kurki M, Daly MJ, Palotie A, Adams CJ, Li L, Clarke R, Amin N, Chen Z, van Duijn CM. Proteomic aging clock predicts mortality and risk of common age-related diseases in diverse populations. Nat Med. 2024, Sep;30(9):2450–2460.

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