Das biomedizinische Alter messen: Methoden, Chancen und klinische Bedeutung

Autor: Prof. Dr. med. MSc. Matthias Willmann
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Chronologisches versus biomedizinisches Alter
Das biomedizinische Alter gewinnt in der Präventivmedizin zunehmend an Bedeutung. Unser Fachartikel erläutert, wie moderne „Aging Clocks“ Gesundheitsrisiken präziser erfassen als das chronologische Lebensalter. Der ChronoVital-Index von Labor Dr. Bayer bietet dabei ein praxistaugliches Verfahren, um das biomedizinische Alter einzuschätzen und latente Gesundheitsrisiken frühzeitig zu identifizieren.
Unser chronologisches Alter – also die Zeit seit unserer Geburt in Jahren – ist ein bekannter Risikofaktor für viele Krankheiten des Alters. Doch es spiegelt nur unzureichend wider, wie unser Körper tatsächlich altert. Menschen gleichen chronologischen Alters können biologisch gesehen sehr unterschiedlich alt sein. Das biomedizinische (biologische) Alter beschreibt den „wahren“ Alterungszustand des Körpers und kann zwischen Individuen desselben Jahrgangs erheblich variieren. Es korreliert deutlich besser mit dem Gesundheitszustand und dem Risiko für altersbedingte Erkrankungen als das kalendarische Alter (1) (2).
Mit modernen Biomarkern lässt sich das biomedizinische Alter immer genauer messen. Im Gegensatz zum starr fortschreitenden chronologischen Alter kann das biomedizinische Alter beeinflusst werden und ist veränderbar. Studien weisen darauf hin, dass sich ein erhöhtes biomedizinisches Alter durch gezielte Interventionen verlangsamen oder sogar teilweise zurückdrehen lässt (3) (4). Das biomedizinische Alter bietet somit einen attraktiven Messwert, um individuelle Gesundheitsrisiken frühzeitiger zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Emotionales Alter – so jung, wie man sich fühlt
Neben dem biomedizinischen Alter spielt auch das emotionale Alter eine Rolle. Darunter versteht man das Alter, das wir subjektiv fühlen – also wie jung oder alt wir uns einschätzen. Dieses emotionale oder psychologische Alter weist meist eine enge Verbindung zum Gesundheitszustand auf und korreliert daher mit dem biomedizinischen Alter. Beispielsweise fühlen sich gesunde Menschen häufig jünger, als sie es auf dem Papier sind, während Personen mit vielen Beschwerden sich oft älter fühlen. Tatsächlich fand eine Studie heraus, dass Personen, die sich älter fühlten als ihr chronologisches Alter, auch biomedizinisch älter waren. Ihr epigenetisches Alter (basierend auf DNA-Methylierung) war beschleunigt. Dieser Zusammenhang wurde teilweise auf einen schlechteren subjektiven Gesundheitszustand und erhöhte Entzündungswerte (z. B. CRP) zurückgeführt (5).
Die gute Nachricht: Das emotionale Alter ist ebenso wie das biomedizinische Alter veränderbar, wahrscheinlich sogar noch stärker. Wenn sich der Gesundheitszustand oder Lebensstil verbessert, fühlen wir uns meist auch jünger. Somit spiegelt das emotionale Alter bis zu einem gewissen Grad wider, „wie es unserem Körper geht“, und kann als weiteres Maß herangezogen werden. Im ärztlichen Gespräch kann das emotionale Alter ein Hinweis sein. Fühlt sich jemand deutlich älter als er ist, lohnt sich ein Blick auf mögliche gesundheitliche Probleme oder Risikofaktoren.

Abbildung 1: Unterschiede zwischen chronologischem, biomedizinischem und emotionalem Alter. Chronologisches Alter (Kalenderalter) ist die Lebenszeit seit der Geburt und unveränderbar. Das biomedizinische Alter beschreibt das effektive „Funktionsalter“ des Körpers basierend auf molekularen Biomarkern. Es spiegelt das Risiko für Alterskrankheiten genauer wider und kann durch Lebensstilfaktoren beeinflusst werden. Das emotionale Alter meint das subjektiv empfundene Alter und steht oft im Einklang mit Gesundheit und Wohlbefinden, sodass es sich mit dem Gesundheitszustand und damit auch mit dem biomedizinischen Alter mitverändert.
Clock-Tests: Messverfahren für das biomedizinische Alter
Um das biomedizinische Alter objektiv zu bestimmen, wurden in den letzten Jahren sogenannte „Aging Clocks“ entwickelt. Diese Tests messen biologische Veränderungen, die mit dem Alter fortschreiten, um daraus ein biomedizinisches Alter zu berechnen. Es gibt verschiedene Methodiken, insbesondere DNA-basierte Clock-Tests (epigenetische Clock-Tests) und proteinbasierte Clock-Tests (Proteom-Clock-Tests). Beide Ansätze haben zuletzt große Fortschritte gemacht und übertreffen das reine Lebensalter in der Vorhersage von Gesundheitsrisiken (2). Im Folgenden werden die Methodiken und wichtige Beispiele erläutert.
DNA-methylierungsbasierte Clock-Tests (epigenetische Clock-Tests)
Zu den ersten und bekanntesten Clock-Tests gehören die epigenetischen Tests, die auf DNA-Methylierung basieren. Dabei wird das Methylierungsmuster der DNA – eine epigenetische Modifikation an den Genen – an bestimmten Stellen im Genom gemessen. Steve Horvath’s epigenetischer Test war 2013 die bahnbrechende erste Methode dieser Art. Aus Methylierungsdaten von 353 definierten Genorten lässt sich das biomedizinische Alter einer Person erstaunlich präzise schätzen (6). Horvath zeigte, dass dieses DNA-Methylierungsalter in verschiedenen Geweben dem tatsächlichen Alter entspricht, aber auch Abweichungen aufdecken kann, z. B. ein „beschleunigtes“ Altern bei Krankheiten. Später wurde klar, dass solche epigenetischen Alterungsmaße auch mit der Lebenserwartung und Krankheitsrisiken verknüpft sind (2).
Auf Horvaths Arbeit aufbauend entstanden immer raffiniertere epigenetische Testverfahren. Ein wichtiger Vertreter der zweiten Generation ist GrimAge. Dieser epigenetische Test kombiniert Methylierungsmarker, die mit Risikofaktoren (wie Rauchen) und der Menge an bestimmten Plasmaproteinen assoziiert sind, um ein Alter zu schätzen, das besonders gut die verbleibende Lebenszeit vorhersagt (7). Tatsächlich erwies sich GrimAge als starker Prädiktor für die Lebensdauer und Gesundheitsspanne. Ein höheres GrimAge-Alter relativ zum chronologischen Ist-Alter bedeutet ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko.
Auch andere epigenetische Clock-Tests wie PhenoAge wurden entwickelt, teils kalibriert auf altersrelevante Laborwerte, um neben dem Lebensalter auch die „biologische Reserve“ abzubilden (8).
Allgemein gilt: DNA-basierte Clock-Tests erlauben es, die kumulative Wirkung von Umwelt und Lebensstil auf molekularer Ebene zu messen. So können z.B. Tabakkonsum, Stress oder Ernährung Spuren im DNA-Methylierungsmuster hinterlassen, die das epigenetische Alter beeinflussen. Epigenetische Clock-Tests erreichen eine hohe Genauigkeit bei der biomedizinischen Altersschätzung (typischerweise eine Fehlerschwankung von nur ca. 3 bis 5 Jahren) und liefern prognostische Informationen über Krankheitsrisiken und Mortalität (2) (7).
Interessanterweise deuten frühe Studien sogar darauf hin, dass man epigenetische Alterungsprozesse bremsen kann. So konnte in einer kleinen Pilotstudie durch ein Medikamenten-Regime das epigenetische Alter der Teilnehmer um durchschnittlich 2,5 Jahre verjüngt werden (3). Ebenso zeigte eine randomisierte Studie (CALERIE-Trial), dass bereits moderate Kalorienrestriktion über 2 Jahre den biomedizinischen Alterungsprozess geringfügig verlangsamen konnte. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass biologische Alterungsraten beim Menschen interventionell beeinflussbar sind (4).
Epigenetische Clock-Tests haben somit Pionierarbeit geleistet. Sie bieten einen Einblick in epigenetische Veränderungen des Körpers, die über Lebensstil und Umwelt entstehen, und verknüpfen diese mit dem biomedizinischen Alter. Eine Limitation ist, dass DNA-Methylierung eher ein indirektes Maß darstellt – ein „Gedächtnis“ der Zellen für vergangene Expositionen. Deshalb richtet sich der Blick nun vermehrt auf Proteine als unmittelbar funktionelle Moleküle des Körpers.
Proteom-basierte Clock-Tests
Proteine sind die Arbeitspferde der Zelle – Veränderungen im Proteom (der Gesamtheit aller Proteine) könnten das biomedizinische Alter direkt widerspiegeln. Die Forschung der letzten Jahre bestätigt, dass sich im Blut charakteristische Proteinmuster des Alterns finden lassen. Proteine regulieren nahezu alle biologischen Prozesse. Es leuchtet daher ein, dass Veränderungen im Proteinspiegel auf Alterungsprozesse und alters-bedingte Funktionsverluste hinweisen.
Während epigenetische Marker eine Art Frühindikator sein können, liefern Proteinlevel einen unmittelbareren Einblick in den aktuellen Gesundheitszustand und die Funktionsfähigkeit von Organen. Tatsächlich ist der Verlust der Proteinhomöostase („Proteostase“) ein zentrales Merkmal des Alterns (1). Verschiedene Forschungsgruppen haben in kleineren Kohorten Proteine identifiziert, deren Konzentration im Plasma mit dem Alter ansteigt oder abfällt, und daraus proteomische Aging Clock-Modelle erstellt. Beispiele sind iAge – eine „inflammatorische Uhr“, die aus Entzündungsmarkern ein Alter ableitet und mit Multimorbidität und Gebrechlichkeit korreliert (9).
Bisher hatten Proteom-basierte Clock-Tests oft den Nachteil relativ kleiner Datenmengen, auf welchen sie basierten. Dennoch zeigten sie schon das Potenzial, das biomedizinische Alter abzubilden. So konnte ein Proteom-basierter Clock-Test von Lehallier et al. in einer Studie Alternsmuster über die Lebensspanne aufzeigen und verschiedene „Wellen“ von Proteinveränderungen in bestimmten Altersabschnitten identifizieren (10). Auffällig ist, dass Proteom-basierter Clock-Test teilweise andere Aspekte des Alterns einfangen – zum Beispiel Immunalterung oder Organ-spezifische Alterungsprozesse. Epigenetische Clock-Tests messen dies nicht direkt.
Sind Proteom-basierte Clock-Tests nun genauer oder besser als DNA-basierte? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, da direkte Vergleichsstudien fehlen. Epigenetische Clock-Tests erreichen eine hervorragende Altersgenauigkeit und haben sich als Prognosemarker etabliert. Proteom-basierte Clock-Tests erzielen inzwischen vergleichbare Vorhersagegenauigkeiten für das chronologische Alter und könnten in mancher Hinsicht näher am effektiven Geschehen im Körper sein. Proteine sind die Effektormoleküle, die biochemische Prozesse steuern und Organfunktionen direkt vermitteln. Veränderungen im Proteinprofil könnten daher unmittelbarer anzeigen, wenn z. B. entzündliche Prozesse, Gefäßschäden oder Stoffwechselstörungen vorliegen, die zu Krankheiten führen.
Ein hoher Alters-Wert in einem Proteom-basierte Clock-Test könnte anzeigen, dass bereits funktionelle Veränderungen bestehen, während epigenetische Clock-Tests eher die kumulative Vorgeschichte widerspiegeln. Experten argumentieren, dass beide Ansätze sich ergänzen. DNA-Methylierung spiegelt langfristige und regulatorische Veränderungen wider, Proteine die akute physiologische Lage (1). In der Praxis ist auch die Verfügbarkeit ein Thema. Proteom-basierte Clock-Test erfordern spezialisierte Messverfahren (z. B. Multiplex-Immunoassays oder Massenspektrometrie), während epigenetische Tests DNA-Analysen erfordern. Beide sind derzeit vor allem in Speziallaboren verfügbar.
Große Proteomics-Studie: ein neuer Clock-Test mit breiter Validierung
Ein Meilenstein für Proteom-basierte Clock-Tests wurde 2024 veröffentlicht. Argentieri et al. entwickelten einen Clock-Test im Blut auf Basis der UK Biobank und validierten diesen mit Proteom-Daten aus zwei weiteren Ländern (11). In dieser Nature-Medicine-Studie wurden bei über 45.000 Teilnehmern in Großbritannien die Spiegel von 2.897 Plasmaproteinen gemessen. Mittels statistischer Verfahren des Maschinellen Lernens identifizierten die Wissenschaftler daraus 204 Proteine, die zusammen das chronologische Alter sehr präzise vorhersagen konnten.
Anschließend wurde geprüft, was ein höheres oder niedrigeres proteomisches Alter für die Gesundheit bedeutet. Hierfür definierten die Autoren den Begriff Proteomic Age Gap (PAG) – die Differenz zwischen vom Proteinprofil geschätztem biomedizinischen Alter und dem tatsächlichen chronologischen Alter. Ein positiver PAG bedeutet, dass jemand biomedizinisch älter ist als es seinem Lebensalter entspricht (ein beschleunigtes Altern). Ein negatives PAG entspricht einem biomedizinisch jüngeren Alter als das chronologische Alter (ein verlangsamtes Altern).
Die Ergebnisse waren eindrucksvoll. Ein höheres PAG ging mit einer deutlich erhöhten Inzidenz von 18 verschiedenen chronischen Erkrankungen einher, darunter Herz-Kreislauf-Leiden (z. B. ischämische Herzkrankheit), Diabetes, chronische Nieren- und Lebererkrankungen, Lungenerkrankungen (COPD), neurodegenerative Erkrankungen (Demenz, Parkinson) und mehrere Krebsarten. Auch Multimorbidität und das Sterblichkeitsrisiko stiegen an.
Personen mit einem überdurchschnittlich hohen PAG hatten beispielsweise ein deutlich höheres Risiko, im Beobachtungszeitraum zu versterben, als Gleichaltrige mit niedrigem PAG. Zudem korrelierte das PAG mit etablierten Altersindices. So waren ein hohes PAG verbunden mit kürzerer Telomerlänge, erhöhtem Gebrechlichkeitsindex, höheren Blutdruckwerten und langsameren Reaktionszeiten – alles Anzeichen eines vorangeschrittenen biomedizinischen Alters. Die Blut-Proteine, auf welcher dieser Clock-Test vornehmlich basiert, stammen aus diversen biologischen Kategorien (Entzündungsmarker, Gerinnungsfaktoren, Hormone, Immunproteine, Gerüst- und Matrixproteine etc.). Das unterstreicht, dass Altern ein multifaktorieller Prozess ist.
Besonders wichtig: Der Proteom-basierte Clock-Test wurde anschließend unabhängig validiert. In zwei externen Kohorten – knapp 4.000 Probanden aus China und rund 2.000 aus Finnland – zeigte das Modell eine nahezu ebenso hohe Genauigkeit bei der Altersschätzung. Dies demonstriert die Generalisierbarkeit über geografische und genetische Hintergründe hinweg – ein großer Vertrauensbeweis in dem Clock-Test.
Ein Blick auf konkrete Zahlen verdeutlicht den Nutzen dieses Clock-Testes (Abbildung 2). Die Autoren verglichen Teilnehmer mit sehr niedrigem vs. sehr hohem PAG. Zum Beispiel hatte ein 65-Jähriger im obersten PAG-Dezil (biomedizinisch sehr viel älter als dem Lebensalter entsprechend) während der 11–16 Jahren Nachbeobachtung eine kumulative Wahrscheinlichkeit von rund 50 %, eine ischämische Herzerkrankung zu entwickeln oder daran zu versterben. Im Gegensatz dazu lag dieses Risiko im untersten PAG-Dezil (biologisch deutlich jünger als dem Lebensalter entsprechend) nur bei etwa 7.5 %. Ähnlich große Unterschiede zeigten sich auch für andere Krankheiten. Auch wurde durch das PAG das Sterberisiko quantifiziert. Pro jedem zusätzlichen Jahr im PAG stieg das Risiko für die Gesamtmortalität um ca. 11 % (adjustiert für andere Risikofaktoren). Diese Statistik wurde auch für bestimmte Erkrankungen erstellt. Besonders deutlich wurde dies bei Morbus Alzheimer, dessen Erkrankungsrisiko pro zusätzlichem Jahr im PAG um ca. 16 % stieg.

Abbildung 2: Beispielhafter Einfluss des biomedizinischen Alters auf das Herzrisiko. Dargestellt ist der Anteil von 65-jährigen Personen, die innerhalb von ca. 11–16 Jahren eine koronare Herzkrankheit (KHK) entwickelten, in Abhängigkeit vom Proteomic Age Gap (PAG). Grün: Personen, deren biomedizinisches Alter deutlich unter dem Lebensalter liegt (PAG niedrig, „jünger als der Durchschnitt“); Rot: Personen mit biomedizinischem Alter deutlich über dem Lebensalter (PAG hoch, „vorgealtert“). Ein höheres biomedizinisches Alter geht mit einem massiv erhöhten KHK-Risiko einher.
Zusammengefasst lieferte diese groß angelegte Proteomics-Studie erstmals einen umfassenden Clock-Test, der in einer allgemeinen Population bestimmt und erfolgreich extern validiert wurde. Die Integration so vieler Teilnehmer und die externe Bestätigung verleihen den Ergebnissen besonderes Gewicht. Für die Praxis bedeutet das: Proteinbasierte Alterstests sind auf dem Vormarsch und könnten in Zukunft helfen, gefährdete Patienten früh zu identifizieren.
Der ChronoVital-Index (CVI) – ein praxisnaher Clock-Test von Labor Dr. Bayer
Auf Basis der genannten Studienerkenntnisse von Argentieri et al. hat Labor Dr. Bayer einen eigenen biomarkerbasierten Clock-Test entwickelt, den ChronoVital-Index (CVI). Dabei machten wir uns zunutze, dass in der Proteom-Studie von Argentieri et al. auffiel, wie stark das PAG mit einigen gängigen Laborparametern korreliert – darunter verschiedene Entzündungs- und Stoffwechselparameter. Aus diesen Erkenntnissen haben wir sechs solcher Routine-Laborwerte ausgewählt, die einen besonders hohen Zusammenhang mit dem biomedizinischen Alter aufweisen, und diese in einem Algorithmus kombiniert. Das Ergebnis ist der CVI, der – ähnlich einem vereinfachten Clock-Test – eine Schätzung des biomedizinischen Alters ermöglicht.
Die Parameter zur Bestimmung des CVI werden aus einer einfachen Blutabnahme gewonnen. Im Unterschied zur herkömmlichen Befundinterpretation wie bei einer Vorsorgeuntersuchung werden diese Werte jedoch gemeinsam ausgewertet, nicht isoliert. Der CVI gibt als Ergebnis aus, ob das geschätzte biomedizinische Alter eines Patienten dem Lebensalter entspricht oder davon abweicht. Dies wird in einem Punktwert ausgedrückt (CVI-Score) und erlaubt eine Abschätzung des PAG. Ein geringer CVI-Score signalisiert ein möglicherweise beschleunigtes Altern – der Körper wirkt älter als erwartet. Ein hoher CVI-Score hingegen deutet auf ein jüngeres biomedizinisches Profil hin.
Wichtig: Der Chrono-Vital-Index macht keine Diagnosen, gibt auch kein exaktes biomedizinisches Alter aus und bestimmt auch keine Sterbewahrscheinlichkeit. Vielmehr dient er als Frühwarnsystem. Ein stark verminderter CVI-Score könnte z. B. anzeigen, dass stille Entzündungsprozesse, Belastungen oder Risikofaktoren vorliegen, selbst wenn alle Einzelwerte formal noch im Referenzbereich sind. Diese Information kann als Anstoß für weitere Untersuchungen oder präventive Maßnahmen genutzt werden.
Vorsorge 2.0: Nutzen eines Clock-Tests in der Medizin
Was bringt es, das biomedizinische Alter zu kennen? In der präventiven Medizin kann ein solcher Clock-Test erhebliche Mehrwerte bieten. Bei einem herkömmlichen Gesundheits-Check werden Laborwerte meist einzeln betrachtet und mit starren Grenzwerten verglichen. Solange diese Schwellen nicht überschritten sind, gelten die Befunde als unauffällig. Doch viele Menschen befinden sich zwischen optimal und pathologisch – ihre Werte liegen noch im Normbereich, aber vielleicht am oberen oder unteren Ende. Hier setzt die komplexe Auswertung des biomedizinischen Alters an. Zusammen genommen könnten selbst normwertige Laborparameter auf ein recht hohes biomedizinisches Alter und ein erhöhtes Gesamtrisiko für altersassoziierte Erkrankungen hindeuten – lange bevor klinische Schwellenwerte erreicht werden oder Organschäden sich manifestieren.
Mit anderen Worten: Ein Clock-Test kann versteckte Risiken sichtbar machen. Der Patient erhält dadurch die Chance, frühzeitig gegenzusteuern. Konkret können je nach Risikoprofil präventive Strategien empfohlen werden – Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung, intensivere Bewegung, Stressabbau, Rauchstopp oder gezielte Vorsorgeuntersuchungen. Studien untermauern, dass solche Maßnahmen das biomedizinische Alter günstig beeinflussen können (3) (4). Zwar ist weitere Forschung notwendig, um langfristig zu beweisen, dass eine Senkung des biomedizinischen Alters tatsächlich zu weniger Erkrankungen führt. Doch die Evidenzlage spricht dafür, dass wer biomedizinisch jünger ist, später krank wird – eine Chance für mehr gesunde Lebensjahre.
Fazit und Zusammenfassung
Clock-Tests für das biomedizinische Alter liefern Ärzten und Patienten einen zusammenfassenden Indikator der Gesundheitsreserve. In einer Zeit, in der Prävention immer wichtiger wird, kann die Kenntnis des biomedizinischen Alters motivieren und lenken. Ein ungünstiger Wert ist kein Schicksal, sondern ein Aufruf, aktiv zu werden. Umgekehrt kann ein erfreulich niedriger Wert bestätigen, dass sich ein gesunder Lebenswandel auszahlt. Somit ermöglichen Clock-Tests – ergänzend zur klassischen Diagnostik – eine personalisierte Vorsorgemedizin, bei der Alter als beeinflussbarer Gesundheitsparameter verstanden wird.
Den ChronoVital-Test finden Sie im Abschnitt Longevity auf unserem Auftragsschein Evidenzbasierte Laborprofile für die Praxis.
Literatur
1. Rutledge J, Oh H, Wyss-Coray T. Measuring biological age using omics data. Nat Rev Genet. 2022, Dec;23(12):715–727.
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3. Fahy GM, Brooke RT, Watson JP, Good Z, Vasanawala SS, Maecker H, Leipold MD, Lin DTS, Kobor MS, Horvath S. Reversal of epigenetic aging and immunosenescent trends in humans. Aging Cell. 2019, Dec;18(6):e13028.
4. Waziry R, Ryan CP, Corcoran DL, Huffman KM, Kobor MS, Kothari M, Graf GH, Kraus VB, Kraus WE, Lin DTS, Pieper CF, Ramaker ME, Bhapkar M, Das SK, Ferrucci L, Hastings WJ, Kebbe M, Parker DC, Racette SB, Shalev I, Schilling B, Belsky DW. Effect of long-term caloric restriction on DNA methylation measures of biological aging in healthy adults from the CALERIE trial. Nat Aging. 2023, Mar;3(3):248–257.
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8. Levine ME, Lu AT, Quach A, Chen BH, Assimes TL, Bandinelli S, Hou L, Baccarelli AA, Stewart JD, Li Y, Whitsel EA, Wilson JG, Reiner AP, Aviv A, Lohman K, Liu Y, Ferrucci L, Horvath S. An epigenetic biomarker of aging for lifespan and healthspan. Aging (Albany NY). 2018, Apr 18;10(4):57–591.
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