Das Ultraspurenelement Bor: Ein Booster für Vitamin D und Knochen?
Bor – Einfluss auf Vitamin D- und Knochenstoffwechsel
Dr. Wolfgang Bayer
Skeletterkrankungen, insbesondere Osteoporose, gehören weltweit zu den häufigsten Ursachen für Morbidität und Mortalität. Nach Angaben der WHO liegt das Risiko einer osteoporosebedingten Fraktur ab einem Alter von 50 Jahren bei ca. 35 %. Daraus ergibt sich die klare medizinische Aufgabe, die Prävention, Diagnostik und Therapie von degenerativen und entzündlichen Skeletterkrankungen deutlich zu verbessern.
Das Spurenelement Bor ist hierfür ein interessanter Kandidat. Neben einem möglichen positiven Einfluss auf die Vitamin-D-Konzentration deutet die aktuelle Studienlage darauf hin, dass Bor auch einen direkten positiven Einfluss auf den Knochenstoffwechsel hat. Unsere aktuelle Fachinformation setzt sich kritisch mit der Evidenzlage auseinander und bewertet die Sinnhaftigkeit einer möglichen adjuvanten Gabe von Bor zur Behandlung von Skeletterkrankungen.
Wie Aluminium gehört Bor zur 3. Hauptgruppe des Periodensystems und kommt in der Erdkruste in einer Menge von unter 0,1 % (Aluminium 7,3 %) vor, hauptsächlich in Form von Borsäure bzw. ihren Salzen, wie z. B. Borax.
Bor ist für Pflanzen essentiell. Dergleichen konnte für den Menschen bisher nicht sicher nachgewiesen werden. Positive Wirkungen auf den Calcium-, Vitamin D- und den Knochenstoffwechsels, auf entzündliche Gelenkerkrankungen, kognitive Leistungen sowie Tumorerkrankungen wie das Prostata-Carcinom werden diskutiert. Für Bor wurde der Begriff Ultraspurenelement geprägt (Gröber und Kisters, 2015).
Bor in der Nahrung, Boraufnahme, Grenzwerte
Getrocknetes Obst wie z. B. Pflaumen (2,7 mg/100 g) sind relativ reich an Bor, ebenso wie Mandeln und Nüsse (1,6–2,3 mg/100 g), während Fleisch sehr wenig Bor enthält (Gröber und Kisters, 2015). Auch verschiedene frische Früchte enthalten mit 0,3– 0,6 mg Bor/100 g relevante Mengen (Rondanelli et al., 2022). In europäischen Mineralwässern werden Bor-Konzentrationen in einem Bereich von 0,1–1,5 mg/l gefunden (Allen et al., 1989). Mit der Nahrung aufgenommenes Bor wird zu Borsäure bzw. ihren Salzen umgewandelt, resorbiert und rasch renal eliminiert. Bor wird damit in Geweben nicht gespeichert und im Körper nicht angereichert.
Die tägliche Bor-Aufnahme in der US-amerikanischen Bevölkerung wird mit 0,87–1,35 mg Bor/Tag angegeben (Food and Nutrition Board, 2001), was Angaben aus Frankreich entspricht (Biego et al., 1998). Die Serum-Konzentrationen liegen in einem Bereich von ca. 20–100 μg/l.
Die WHO stuft eine tägliche Bor-Aufnahme von 1–13 mg als „acceptable safety interval“ für Erwachsene ein (zitiert bei Rondanelli et al., 2020). Laut EFSA (European Food Safety Authority) sollen Erwachsene nicht mehr als 10 mg Bor/die zu sich nehmen (tolerable upper intake (UL) – EFSA, 2013), für Kinder gelten niedrigere Werte. Eine sehr restriktive Haltung, die im Gegensatz zu den o. g. Empfehlungen steht, nimmt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ein. Danach wird für Nahrungsergänzungsmittel eine Höchstmenge von 0,5 mg Bor pro Tagesverzehrs-Empfehlung für Erwachsene genannt (BfR, 2021) und es sollte ein Hinweis „für Kinder und Jugendliche nicht geeignet“ angebracht werden.
Toxizität
Im Tierversuch (Ratte) konnten in verschiedenen Studien reproduktionstoxische Wirkungen in Dosierungen von 13–26 mg/kg KG nachgewiesen werden (zitiert bei Häschke und Stahlmann, 2016). Dies liegt weit oberhalb der beim Menschen zur Supplementierung eingesetzte Dosierungen, und reproduktionstoxische Wirkungen beim Menschen werden in einer neueren Übersicht verneint (Bolt et al., 2020). Dennoch sollte Bor in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht gegeben werden.
Biochemische Funktionen
Folgende biochemische Funktionen für Bor wurden beschrieben bzw. werden diskutiert (Gröber und Kisters, 2015, Rondanelli et al., 2020):
- Anti-entzündliche Wirkungen durch Hemmung von Cyclooxygenasen und Lipoxygenasen und Interaktionen mit NF-кB.
- Beeinflussung der Biosynthese von Steroidhormonen wie 17-ß-Östradiol und Testosteron durch Modulation der Hydroxylierung des Steroid-Rings.
- Beeinflussung des mitochondrialen Energiestoffwechsels durch Inhibierung von Serin-Proteasen. Dies kann auch beim Prostata-Carcinom von Bedeutung sein.
- Regulation des Calcium-, Magnesium- und Vitamin D-Stoffwechsels und damit wichtige Bedeutung für die Knochengesundheit.
Auf den letztgenannten Punkt werden wir im Folgenden näher eingehen.
Bor und Vitamin D-Stoffwechsel
Vitamin D3 (Cholecalciferol) wird über die Nahrung aufgenommen und unter dem Einfluss von UV-B-Licht in der Haut aus der Vorstufe 7-Dehydro-Cholesterin gebildet. In der Regel überwiegt die endogene Bildung in der Haut. In der Leber erfolgt durch das Enzym CYP2R1 (25-Hydroxylase) eine Hydroxylierung zum 25-Hydroxy-Vitamin D3, dem wichtigsten Laborparameter zur Bestimmung der Vitamin D-Versorgung. In der Niere erfolgt durch das Enzym CYP27B1 (1-α-Hydroxylase) eine zweite Hydroxylierung zum 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3, dem nach Bindung an den Vitamin D-Rezeptor (VDR) primär im Calcium-Stoffwechsel aktiven Vitamin D-Metaboliten. Bei Vitamin D-Überschuss kann in der Niere über das Enzym CYP24A1 (24-Hydroxylase) eine katabole Umwandlung zum inaktiven (bzw. wenig aktiven) 24,25-Dihydroxy-Vitamin D3 erfolgen.
Abbildung 1: Schematisierte Darstellung des Vitamin DStoffwechsels (nach Francic et al., 2019, modifiziert)
In einer älteren Arbeit (Miljkovic et al., 2004) wurde die Hypothese aufgestellt, dass durch eine hohe nutritive Aufnahme von Bor die katabole Umwandlung in inaktive (wenig aktive) Vitamin D-Metabolite begrenzt wird. Dies könnte zugleich mit einem Anstieg von 25-Hydroxy-Vitamin D3 bzw. 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 einhergehen.
In einer doppelt-blinden, Placebo-kontrollierten Studie an Patienten mit einer Osteoarthritis, die für 14 Tage Calcium-Fructo-Borat in einer Dosierung von 216 mg/die erhielten, wurde ein Anstieg von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 von 19 % nachgewiesen, während die Konzentrationen von 25-Hydroxy-Vitamin D3 keine signifikanten Unterschiede aufwiesen (Reyer-Izquirdo et al., 2012). In einer weiteren Studie (Rondanelli et al., 2020) wurde ein Anstieg von 25-Hydroxy-Vitamin D3 um 20 % beschrieben unter Gabe von Calcium-Fructo-Borat (6 mg Bor/die).
Bor und Knochengesundheit
Neben der möglichen Beeinflussung des Vitamin D-Metabolismus dürfte Bor auch in die Regulation des Calcium- und Magnesium-Stoffwechsel einbezogen sein und kann regulatorische Wirkungen auf Steroid-Hormone ausüben.
Während 99 % des Calciums im menschlichen Organismus im Knochen angereichert sind, sind es beim Magnesium noch immer ca. 60 %. Auch Magnesium spielt eine wichtige Rolle im Knochenstoffwechsel, und die Gabe von Bor im Tierversuch kann die Absorption von Magnesium verbessern (Hegstedt et al., 1991). Die Gabe von 3 mg Bor/die führte zu einer Reduktion der Harn-Ausscheidung von Calcium- und Magnesium (Rondanelli et al., 2020).
Verschiedene Tierstudien (Rondanelli et al., 2020) zeigen eine Erhöhung der Serum-Konzentration von Calcium sowie eine Verbesserung der Knochendichte durch Bor-Gabe. Nach einer in-vitro-Studie (Capati et al., 2016) kann Bor die Proliferation und Differenzierung von Osteoblasten durch verstärkte Aufnahme von Calcium positiv beeinflussen.
In einer Studie in der Türkei an postmenopausalen Frauen aus Gegenden mit hoher (ca. 7 mg/die) und niedriger (ca. 1,2 mg/die) Bor-Aufnahme über das Trinkwasser war die höhere Aufnahme von Bor mit statistisch signifikant höheren Osteocalcin-Konzentrationen assoziiert, einem wichtigen Marker des Knochenaufbaus (Boyacioglu et al., 2018).
Da unter Bor-Gabe ein Anstieg der Plasma-Konzentration von 17-ß-Östradiol und Testosteron (Nielsen et al., 1987, Rondanelli et al., 2020) nachgewiesen wurde, kann auch durch diesen Effekt der Knochenstoffwechsel günstig beeinflusst werden.
Auch eine ausgeprägte anti-entzündliche Wirkung von Bor in Form von Calcium-Fructo-Borat (Scorei and Scorei, 2013) kann mit günstigen Wirkungen auf den Knochenstoffwechsel einhergehen.
Die dargestellten günstigen Wirkungen von Bor auf den Knochenstoffwechsel sollten an dieser Stelle jedoch auch kritisch betrachtet werden. Die genannten Schlussfolgerungen basieren primär auf tierexperimentellen und Zellkultur-Studien wie auch auf einer Reihe von Humanstudien. Ein erheblicher Teil dieser Arbeiten sind über 20 Jahre alt, umfassen nur kleine Patientenkollektive, haben sehr heterogene Studiendesigns und häufig wurde Bor zusammen mit anderen Knochen-aktiven-Substanzen gegeben. Dies erschwert eine Bewertung. Auch wenn z. B. bei der Osteoarthritis erste kontrollierte Studien vorliegen, besteht ein eindeutiger Bedarf an großen Kohortenstudien und randomisierten, Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien zum Thema Bor und Knochenstoffwechsel.
Nach der jetzigen Studienlage ist Bor ein interessanter Kandidat für die adjuvante Gabe bei (degenerativen und entzündlichen) Skeletterkrankungen, auch zusammen mit anderen Substanzen wie Vitamin D, Calcium, Magnesium oder auch Glucosaminsulfat (Reyes-Izquierdo et al., 2014).
Bor und Osteoarthritis
Mehrere doppelt-blinde, Placebo-kontrollierte Studien an Patienten mit Knieschmerzen bzw. Osteoarthritis (Übersicht bei Mogosanu et al., 2016) haben unter Gabe von 220 mg Calcium-Fructo-Borat eine deutliche klinische Besserung mit Reduktion des WOMAC-Score (WOMAC Osteoarthritis Index) sowie von Knieschmerzen bei erhöhter Beweglichkeit gezeigt (Pietrzkowski et al., 2014, Reyes-Izquierdo et al., 2012). Gleichzeitig kam es zu einem hochsignifikanten Rückgang von CRP um 37 % (Reyes-Izquierdo et al., 2012), wobei auch in anderen Studien deutliche Senkungen von CRP nachgewiesen werden konnten (Mogosanu et al., 2016, Rogoveanu et al., 2015).
Bor Supplementierung
Zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel mit Bor stehen in Deutschland zur Verfügung. In Nahrungsergänzungen sind zugelassen: Borsäure (E 284), Natriumborat/Natriumtetraborat (E 285) sowie seit 2021 auch Calcium-Fructo-Borat (nicht für Personen unter 18 Jahren sowie Schwangere und Stillende, Aufnahmemenge bis zu 220 mg/Tag – Durchführungsverordnung der EU 2021/2129 vom 02.12.2021).
Calcium-Fructo-Borat ist ein Zucker-Borat-Ester, der natürlicherweise in Früchten und Gemüsen vorkommt und eine lösliche Form von Bor darstellt. Eine biologische Aktivität wurde sowohl für intra- wie auch extra-zelluläre Kompartimente nachgewiesen. Eine umfangreiche Übersicht über die biochemischen und physiologischen Grundlagen wurde 2019 publiziert (Hunter et al., 2019). 112 mg Calcium-Fructo-Borat enthalten 3 mg Bor.
In Deutschland verfügbare Nahrungsergänzungsmittel basieren ganz überwiegend auf Natriumborat/Natriumtetraborat. Nur wenige enthalten bislang Calcium-Fructo-Borat.
Rondanelli et al. (2022) geben zur Unterstützung der Knochengesundheit eine Dosierung von 3 mg Bor/die als sinnvoll an.
Hinweise für die Praxis:
Bor kann sowohl aus Serum als auch aus Vollblut (empfohlen) bestimmt werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Osteoporose-Profile I und II von Labor Dr. Bayer, die zusätzlich relevante diagnostische Marker des Knochenstoffwechsels enthalten.
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Literatur:
Allen, H. E. et al.: Chemical composition of bottled mineral water. Arch. Environ. Health 1989; 44: 102–116
BfR: Aktualisierte Höchstmengenvorschläge für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln. Stellungnahme Nr. 009/2021 vom 15.03.2021
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