Vitamin D: In welchen Situationen und wie hoch sollte man das Hormon dosieren?
Ein Leitfaden für eine individuell optimierte Vitamin D-Substitution
Autor: Dr. Wolfgang Bayer / Medizinisch verantwortlich: Prof. Dr. med. MSc. Matthias Willmann
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Es ist allgemein bekannt, dass Vitamin D für den Knochenstoffwechsel von entscheidender Bedeutung ist. Weniger bekannt ist, dass Vitamin D streng genommen ein Hormon ist, das an vielen Prozessen im menschlichen Körper wesentlich beteiligt ist. Es gibt immer mehr wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Vitamin D in dieser Rolle nicht nur bei Skeletterkrankungen, sondern auch bei der Vorbeugung anderer Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt.
Doch was bedeutet das für die Notwendigkeit einer Supplementierung? Wann sollte Vitamin D gegeben werden? Und vor allem, wie viel? Denn neben positiven Effekten kann ein Zuviel an Vitamin D möglicherweise auch Schaden anrichten. Auf diese Fragen geht unsere neue Fachinformation ausführlich ein. Sie bietet einen Leitfaden für eine individuelle Dosierung und beleuchtet auch die Fallstricke einer Vitamin-D-Supplementierung.
Im Mai 2023 veröffentlichte das Deutsche Krebsforschungszentrum die Stellungnahme „Verringerte Krebssterblichkeit bei täglicher Vitamin D-Einnahme“ (DKFZ, 2023) zu einer Meta-Analyse von 14 Studien mit ca. 100.000 Teilnehmern (Kuznia et al., 2023). In 10 Studien mit täglicher Vitamin D-Gabe in niedriger Dosierung ergab sich eine statistisch signifikante Verminderung der Tumorsterblichkeit von 12 %, nicht jedoch bei Studien, die mit einer hochdosierten Einzelgabe (Bolus) durchgeführt wurden.
Dies zeigt, dass die Art einer Vitamin D-Gabe über den Studienerfolg entscheiden kann (Brenner, 2023), wobei eine Reihe zusätzlicher Einflussfaktoren zu berücksichtigen ist.
Diese Überlegungen betreffen natürlich nicht nur Studien, sondern gleichermaßen die Vitamin D-Substitution bei Patienten in der Praxis. Wir wollen daher in dieser Arbeit die zu beachtenden Einflussfaktoren, Dosierungsfindung, Zielwerte und die Frage einer Überdosierung behandeln mit dem Ziel einer individuell optimierten Vitamin D-Substitution im Sinne einer personalisierten Medizin.
Vitamin D-Stoffwechsel
Vitamin D3 (Cholecalciferol) wird über die Nahrung aufgenommen und unter dem Einfluss von UV-B-Licht in der Haut aus der Vorstufe 7-Dehydro-Cholesterin gebildet. In der Regel überwiegt die endogene Bildung in der Haut. In der Leber erfolgt durch das Enzym CYP2R1 (25-Hydroxylase) eine Hydroxylierung zum 25-Hydroxy-Vitamin D3 [25-(OH)-D3], dem wichtigsten Laborparameter zur Bestimmung der Vitamin D-Versorgung. In der Niere erfolgt durch das Enzym CYP27B1 (1-α-Hydroxylase) eine zweite Hydroxylierung zum 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 [1,25-(OH)2-D3], dem nach Bindung an den Vitamin D-Rezeptor (VDR) primär im Calcium-Stoffwechsel aktiven Vitamin D-Metaboliten. Bei Vitamin D-Überschuss kann in der Niere über das Enzym CYP24A1 (24-Hydroxylase) eine katabole Umwandlung zum inaktiven (bzw. wenig aktiven) 24,25-Dihydroxy-Vitamin D3 erfolgen.
Abbildung 1: Schematisierte Darstellung des Vitamin D-Stoffwechsels (nach Francic et al., 2019, modifiziert)
Diagnostik: Was messen – Gesamt-, bioverfügbares oder freies 25-(OH)-D3?
25-(OH)-D3 kommt zu 85–90 % gebunden an Vitamin-D-bindendes Protein, zu 10–15 % locker gebunden an Albumin und zu weniger als 1 % in freier Form vor. Der primäre Parameter zur Bestimmung des Vitamin D-Status ist das Gesamt-25-(OH)-D3. Die Bestimmung von freiem 25-(OH)-D3 wird bei Zeng et al. (2021) ausführlich diskutiert. Brenner (2023) sieht keine Vorteile der Bestimmung von freiem 25-(OH)-D3 und empfiehlt weiterhin die Bestimmung von Gesamt-25-(OH)-D3.
Gesamt-25-(OH)-D3 ist der primäre Laborparameter zum Nachweis den Vitamin D-Mangel oder -Überschuss.
Zufuhrempfehlungen
10 µg Vitamin D3 entsprechen 400 I.E.
Die DGE empfiehlt für Erwachsene eine tägliche Zufuhr von 800 I.E. Vitamin D3 bei fehlender endogener Synthese (DGE, 2012). US-Empfehlungen nennen 600 I.E./die bis zu einem Alter von 70 Jahren und 800 I.E./die für Ältere (Ross et al., 2011). Nach beiden Publikationen soll damit ein Zielwert von mindestens 20 µg/l (50 nmol/l) für 25-(OH)-D3 erreicht werden. Um einen präventiv-medizinisch als optimal angesehen Bereich (Pludowski et al., 2022, 2023) von 30–50 µg/l (75–125 nmol/l) für 25-(OH)-D3 zu erreichen, wird eine erforderliche tägliche Aufnahme von 800–2000 I.E. bzw. 1.000–2.000 I.E. Vitamin D genannt. Nach einer aktuellen Übersichtsarbeit (Pludowski et al., 2024) können mit einer täglichen Gabe von 2.000 I.E. Vitamin D bei über 90 % der Erwachsenen
in der Allgemeinbevölkerung Konzentrationen von 25-(OH)-D3 > 30 µg/l (> 75 nmol/l) erreicht werden.
Die EFSA (EFSA, 2023) nennt als „tolerable upper intake level-UL“ eine Aufnahme von 4.000 I.E. pro Tag bei einem „lowest-observed-adverse-effect-level -LOAEL“ von 10.000 I.E. pro Tag für Erwachsene und Jugendliche von 11–17 Jahren. Für Kinder von 1–10 Jahren werden 2.000 I.E. pro Tag als UL angegeben.
Die DGE empfiehlt eine tägliche Vitamin D-Aufnahme von 800 I.E., während aus präventiv-medizinischer Sicht 1.000–2.000 I.E./die sinnvoll sein können.
Optimierung des Vitamin D-Status
a) Zielwerte für 25-(OH)-D3: Empfehlungen und Studienlage
Gebräuchliche Einheiten für 25-(OH)-D3 sind µg/l = ng/ml und nmol/l. 1 µg/l entspricht 2,5 nmol/l.
Empfehlungen
Werte unter 12 µg/l (30 nmol/l) werden als Mangel und Werte von 12–20 µg/l (30–50 nmol/l) als leichte Unterversorgung (Brenner, 2023, DKFZ, 2023) bezeichnet. Die DGE bezeichnet Werte von 20 µg/l (50 nmol/l) und höher als ausreichende Versorgung.
Die endokrinologische Gesellschaft der USA (Holick et al., 2011) empfiehlt Konzentrationen von > 30 µg/l (> 75 nmol/l) mit einem optimalen Bereich von 40–60 µg/l (100–150 nmol/l), während Europäische Leitlinien (Pludowski et al., 2013, 2022) einen optimalen Bereich von 30–50 µg/l (75–125 nmol/l) nennen.
Studienlage
Eine Meta-Analyse (Gaksch et al., 2017) auf der Basis von 8 prospektiven, in Europa durchgeführten Studien ergab eine klare inverse Beziehung zwischen den Konzentrationen von 25-(OH)-D3 und der kardiovaskulären Mortalität bis zu über 40 µg/l (100 nmol/l).
Tabelle 1: Relatives Risiko (RR) für die kardiovaskuläre Mortalität in Abhängigkeit von den Konzentrationen von 25-(OH)-D3, standardisiert auf Alter, Geschlecht, Jahreszeit, BMI und weitere Faktoren (Gaksch, 2017)
Zur Vermeidung eines durch Vitamin D-Mangel bedingten sekundären Hyperparathyreoidismus können Konzentrationen von 25-(OH)-D3 von 40 µg/l (100 nmol/l) erforderlich sein (Gomez-Alonso et al., 2003, McKenna and Freaney, 1998), was auch als „cut-off“-Wert vorgeschlagen wurde.
In Studien an Patienten mit M. Crohn wurde gezeigt, dass Serum-Konzentrationen von 25(OH)-D3 > 30 µg/l (> 75 nmol/l) erforderlich sind, um eine Absenkung von CRP und eine Verbesserung des CDAI (Crohns disease activity index) zu erreichen (Raftery et al., 2015), während nach anderen Studien hierfür Werte von 40 µg/l (100 nmol/l) erforderlich waren (Yang et al., 2013).
Aus präventiv-medizinischer Sicht sind Konzentrationen von 25-(OH)-D3 von 30–50 µg/l (75–125 nmol/l) anzustreben (siehe Tabelle 2).
b) Gibt es eine sichere Obergrenze für 25-(OH)-D3?
Nach Studien zur Sturz-Häufigkeit (Gallagher, 2016) können Anstiege von 25-(OH)-D3 > 40–44,8 µg/l (> 100–112 nmol) mit einem erhöhten Risiko assoziiert sein. In der NHANES Studie (Sempos et al., 2013) wurde eine J-förmige Assoziation zwischen den Konzentrationen von 25-(OH)-D3 und der Gesamtmortalität mit einem Anstieg der Mortalität bei Werten > 48 µg/l (> 120 nmol/l) beobachtet. Eine Meta-Analyse auf der Basis von 8 in Europa durchgeführten Studien ergab jedoch bis zu Werten von 50 µg/l (125 nmol/l) keinen Anstieg der Gesamtmortalität (Gaksch et al., 2017). Für das kardiovaskuläre Risiko ergab sich in der CopD-Studie ein Anstieg bei Werten > 50 µg/l (> 125 nnmol/l) (Durup et al., 2015).
Konzentrationen von 25-(OH)-D3 von bis zu 50 µg/l (125 nmol/l) können als sicher betrachtet werden (siehe Tabelle 2).
Sonderfall: granulomatöse Erkrankungen
Bei granulomatösen Erkrankungen, wie z. B. bei Sarkoidose, kann es durch aktivierte Makrophagen zu einer extra-renalen Synthese des Enzyms 1-a-Hydroxylase und einer vermehrten Bildung von 1,25-(OH)2-D3 kommen. Diese Patienten können jedoch niedriges 25-(OH)-D3 haben. Eine Vitamin D-Substitution erfordert eine engmaschige Kontrolle von 25-(OH)-D3, 1,25-(OH)2-D3, Parathormon sowie Calcium im Serum und im Urin (Pludowski et al., 2023).
c) Einteilung der Konzentrationen von 25-(OH)-D3
Wir haben nachfolgend eine Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts von 2019 (RKI, 2019) und die Empfehlungen des European Expert Consensus Statement (Pludowski et al., 2022) gegenübergestellt und schlagen unter präventivmedizinischen und Sicherheits-Aspekten folgende Einteilung der Konzentrationen von 25-(OH)-D3 vor:
Tabelle 2: Einteilung der Konzentration von 25-(OH)-D3 von Mangel bis Überschuss.
d) Studienprotokolle und erreichte Konzentrationen von 25-(OH)-D3
Stellvertretend für die zahlreichen publizierten Arbeiten sollen hier 2 Studienprotokolle dargestellt werden, die unterschiedliche Ansätze verfolgen.
In einer älteren Studie an 61 Probanden in einem mittleren Alter von 41 Jahren wurde für 2–5 Monate 4.000 I.E./die Vitamin D3 gegeben. Die Konzentrationen von 25-(OH)-D3 stiegen von im Mittel 16,3 auf 38,6 µg/l (von 40,7 auf 96,4 nmol/l) an (Vieth et al., 2001). Es wurde weder eine Hyperkalzämie noch eine Erhöhung der Calcium-Ausscheidung im Harn beobachtet. Eine Plateau-Bildung unter Gabe von Vitamin D3 kann nach ca. 3–4 Monaten beobachtet werden
In der vom DKFZ in Deutschland initiierten VICTORIA-Studie (Schöttker, 2020, Kuznia et al., 2022) erhielten Patienten mit Vitamin D-Mangel (25-(OH)-D3 < 20 µg/l bzw. < 50 nmol/l) und Z. n. Resektion eines kolorektalen Carcinoms eine personalisierte Vitamin D-Supplementierung. Diese bestand aus einer 11-tägigen „loading phase“, in der Vitamin D3 in Abhängigkeit von den initialen Konzentrationen von 25-(OH)-D3 und dem BMI gegeben wurden, gefolgt von 2.000 I.E./die für 12 Wochen. Die Konzentrationen von 25-(OH)-D3 stiegen im Mittel von initial 10,2 µg/l (25.9 nmol/l) auf 25,2 (63.1 nmol/l) (Ende loading phase) und 30,2 µg/l (75.5 nmol/l) nach 12 Wochen. Alle Patienten wiesen zu Studienende Werte von > 20 µg/l ( > 50 nmol/l) auf. Werte von > 60 µg/l ( > 150 nmol/l) oder eine Hyperkalzämie wurden nicht beobachtet.
Die personalisierte Dosis in der „loading phase“ wurde nach Jansen et al. (2014) wie folgt berechnet, wobei am Studienende ein Zielwert bezüglich 25-(OH)-D3 von 32 µg/l (80 nmol/l) angestrebt wurde:
„Loading dose“ = 165 x BMI [kg/m2] x (70 – Ausgangswert für 25-(OH)-D3 [nmol/l])
Die nach der o. g. Formel berechnete Menge an Vitamin D3 wurde in der „loading phase“ über einen Zeitraum von 11 Tage in Einzelgaben von 20.000 bzw. 40.000 I.E. verabreicht, maximal jedoch insgesamt 420.000 I.U. Die Gesamtmenge an Vitamin D3 über die gesamte Studie betrug zwischen 168.000 und 566.000 I.U. Vitamin D.
Eine personalisierte Vitamin D-Gabe berücksichtigt die individuellen Gegebenheiten des Patienten und dient der Erreichung optimaler Zielwerte für 25-(OH)-D3.
e) Substitution als tägliche Gabe oder als Bolus?
In der eingangs beschriebenen Studie von Kuznia et al. (2023) ergab sich unter täglicher Gabe von Vitamin D3 eine Verminderung der tumor-assoziierten Mortalität, nicht jedoch unter Bolus-Gabe, wie dies auch in anderen Studien festgestellt wurde (Keum et al., 2022).
Diese Zusammenhänge sind schon seit längerem aus Studien zur Sturz-Häufigkeit bei Älteren bekannt. Während tägliche Gaben von Vitamin D3 in Dosierung von 1.600 bis 3.200 I.E. zu einer Verminderung der Sturz-Häufigkeit führten, kam es bei höheren Dosierungen und insbesondere unter Bolus-Gabe von 24.000 bis 60.000 I.E./monatlich bzw. 300.000 bis 500.000 I.E./jährlich zu einer Erhöhung der Sturz-Häufigkeit (Gallagher, 2016, Smith et al., 2017).
Unter täglicher Gabe kann wahrscheinlich eine bessere Bioverfügbarkeit erreicht werden, während unter nicht-physiologischer hochdosierter Bolus-Gabe das Enzym CYP24A1 aktiviert werden kann, welches aktive Vitamin D-Metabolite in inaktive Verbindungen überführen kann (Mazess et al., 2021).
In der Arbeit von Mazess et al. (2021) wird auch ein erhöhtes Risiko von Hyperkalzämien unter hochdosierter Bolus-Gabe beschrieben.
Eine tägliche Vitamin D-Gabe ist der Bolus-Gabe überlegen.
f) Jahreszeit, Alter und Körperfettanteil als wichtige Einfluss-Faktoren
Infolge einer verstärkten Sonneneinstrahlung ist die endogene Synthese von Vitamin D in der Haut im Sommer höher als im Winter. Dementsprechend weisen die Serum-Konzentrationen von 25-(OH)-D3 eine starke saisonale Abhängigkeit auf. Ein adäquater Vitamin D-Status, definiert durch Konzentrationen von > 20 µg/l ( > 50 nmol/l) findet sich in Deutschland im Frühjahr bei 27,3 %, im Sommer bei 65,8 %, im Herbst bei 47,9 % und im Winter nur noch bei 17,6 % der untersuchten Personen (Rabenberg et al., 2015, Rabenberg und Mensink, 2016). Wird eine Vitamin D-Supplementierung z. B. im März begonnen, werden die Therapieeffekte durch den saisonalen Anstieg im positiven Sinne überlagert, während es bei Beginn im September genau umgekehrt sein wird.
Die Konzentration von 7-Dehydrocholesterin in der Haut nimmt mit zunehmendem Alter stark ab, was mit einer rückläufigen Eigensynthese von Vitamin D korreliert (MacLaughin et al., 1985, Giustina et al., 2023).
Inverse Korrelationen bestehen zwischen dem Körperfett bzw. dem BMI und den Vitamin D-Konzentrationen im Serum, sodass Übergewicht und Adipositas Risikofaktoren für Vitamin D-Mangel sind (Snijder et al., 2005). Dies dürfte auf eine Speicherung des (fettlöslichen) Vitamins D im Fettgewebe mit verminderter Mobilisierbarkeit zusammenhängen. Bei Übergewichtigen finden sich zudem Korrelationen zwischen Vitamin D-Mangel und einem ungünstigen Lipidprofil (Triglyceride und LDL-C erhöht, HDL-C niedrig) (Huang et al., 2023).
Zahlreiche Grunderkrankungen können den Vitamin D-Status beeinträchtigen (Bleizgys, 2021), wie Tumorerkrankungen, insbesondere unter Chemotherapie, schwere Viruserkrankungen, granulomatöse Erkrankungen, Ernährungsstörungen sowie Einnahme verschiedener Medikamente (Antiepileptika, Virostatika, Lipase-Inhibitoren und weitere).
Wegen der geringeren Sonneneinstrahlung im Winterhalbjahr ist Vitamin D-Mangel in dieser Zeit weitaus häufiger als im Sommerhalbjahr. Zunehmendes Alter und hoher Körperfett-Anteil sind Risikofaktoren für Vitamin D-Mangel. Bestehende Grunderkrankungen sind zu berücksichtigen.
Warum es keine „Einheitsdosis“ für Vitamin D gibt und eine individuelle Substitution erforderlich ist
Studien zeigen, dass es unter identischer Vitamin D Gabe zu stark unterschiedlichen Anstiegen der Konzentration von 25-(OH)-D3 kommt.
In einer randomisierten kontrollierten Studie an Patienten mit Prädiabetes wurden 20.000 I.E. Vitamin D/Woche oder Placebo für 12 Monate gegeben. Die erreichten End-Konzentrationen von 25-(OH)-D3 unterscheiden sich dabei um bis zu 24 µg/l (60 nmol/l) (Sollid et al., 2016), wahrscheinlich aufgrund von Polymorphismen verschiedener Enzyme des Vitamin D-Stoffwechsels, wie CYP2R1 und CYP24A1, was auch in anderen Arbeiten beschrieben wird (Barry et al., 2014), sowie auch weiterer Faktoren. In einer älteren Studie (Bayer und Wührer, 2010) wurden 18 Patienten in einem Alter von 22 bis 82 Jahren, welche 25-(OH)-D3-Konzentrationen von unter 20 µg/l (50 nmol/l) (53 % < 10 µg/l bzw. < 25 nmol/l) aufwiesen, mit täglich 5.000 I.E. Cholecalciferol über einen Zeitraum von 12 Wochen supplementiert. Die erreichte Endkonzentration von 25-(OH)-D3 unterschied sich bis zu einem Faktor von 3. Die Calcium-Konzentrationen lagen bei drei Abnahmen im Mittel zwischen 2,34 und 2,37 mmol/l. Die Entwicklung einer Hyperkalzämie konnte im Verlauf der Studie nicht festgestellt werden.
Mögliche Einflussfaktoren auf den Vitamin D-Stoffwechsel, die bei der Substitution zu berücksichtigen sind, werden in einer neueren Übersichtsarbeit diskutiert (Hassanein et al., 2023).
Diese Faktoren können wie folgt zusammengefasst werden:
- Unterschiedliche Ausgangskonzentrationen von 25-(OH)-D3 zu Beginn der Substitution
- Jahreszeit
- Polymorphismen bezüglich der im Vitamin D-Stoffwechsel wichtigen Enzyme
- Vitamin D-arme Ernährung
- BMI
- Alter und Hautfarbe
- Sonnenexposition inkl. Sonnencreme-Anwendung und Kleidungsgewohnheiten
- Präexistierende Grunderkrankungen
Waterhouse et al. (2014) betonen das Erfordernis einer individuellen Vorgehensweise, um optimale Konzentrationen von 25-(OH)-D3 zu erreichen.
Zusammenfassung
- Gesamt-25-(OH)-D3 ist der zentrale Parameter zur Feststellung von Vitamin D-Mangel bzw. Überschuss, und eine Bestimmung sollte am Beginn jeder Vitamin D-Substitution stehen.
- Die DGE empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 800 I.U. Vitamin D mit dem Ziel, Konzentrationen von mindestens 20 µg/l (50 nmol/l) bezüglich 25-(OH)-D3 zu erreichen. Präventivmedizinisch anzustrebende Konzentrationen von 25-(OH)-D3 in einem Bereich von 30–60 µg/l (75–125 nmol/) dürften eine Aufnahme von 1.000–2.000 I.U./die erfordern. Höhere Dosierungen können bei individuell optimierten Strategien zum Einsatz kommen. Die EFSA nennt eine sichere Obergrenze von 4.000 I.E./die für Erwachsene.
- Kontrolle der Substitution: Nach 4–6 Wochen erneute Bestimmung von 25-(OH)-D3 und ggf. Anpassung der Dosierung.
- Eine Obergrenze von 50 µg/l (125 nmol/l) für 25-(OH)-D3 sollte, zumindest über einen längeren Zeitraum nicht überschritten werden, Werte über 60 µg/l (150 nmol/l) sind risikobehaftet. Auf Tabelle 2 dieser Arbeit darf verwiesen werden.
- Eine Substitution mit täglicher Einzelgabe ist einer Bolusgabe (monatlich/halbjährlich) vorzuziehen.
- Eine „Einheitsdosierung“ für die Vitamin D-Gabe kann nicht definiert werden, da zahlreiche Einflussfaktoren Aufnahme und weitere Metabolisierung beeinflussen. Unter identischer Gabe einer bestimmten Vitamin D-Menge können sich die erreichten Konzentrationen von 25-(OH)-D3 um bis zu einem Faktor von 3 unterscheiden.
- Eine individuell auf den einzelnen Patienten optimierte therapeutische Vorgehensweise ist anzustreben, wie beispielhaft in „Studienprotokolle und erreichte Konzentrationen von 25-(OH)-D3“ beschrieben.
Hinweise für die Praxis:
Vitamin D kann im Serum als 25-Hydroxy-D3 bestimmt werden, um den Vitamin D-Status zu ermitteln. Neben 25-Hydroxy-D3 kann auch die biologisch aktive Form 1,25-Dihydroxy-D3 gemessen werden.
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